Gaming mit Herzblut

Retro voll im Trend

0 283

Wissenschaftliche Studien widersprechen sich in ihren Ergebnissen, doch Marketing-Verantwortliche sind sich sicher: Retro und Nostalgie sind ein Kassenschlager – und das nicht nur bei der jüngsten Generation Z, den nach 2000 geborenen Kunden. Auch bei jenen, die in den späten 80er und 90er Jahren in der Keimzelle der Computerspiel-Szene und der Renaissance des Kinos aufgewachsen sind, ist Retro beliebt. Oft braucht es nicht einmal echte, authentische Erinnerungen bei der Zielgruppe, damit dieser Nostalgie-Funke überspringt.

Wir wollen in diesem Artikel einmal näher auf die unterschiedlichen Ansätze eingehen, die insbesondere die Unterhaltungsindustrie in den letzten Jahren fährt, um zu verstehen, was die Firmen mit dem allgegenwärtigen Retro-Trend erreichen möchten.

Heim-weh – Nostalgie als Krankheit

Dabei war das Thema keinesfalls immer positiv besetzt. Im 17. Jahrhundert, als ein Schweizer Arzt erstmals den Begriff „Nostalgie“ prägte, war die Wissenschaft davon überzeugt, es handele sich um Lebensgeister, die durch den Wunsch einer „Rückkehr ins Vaterland“ Körperfunktionen nicht mehr aufrechterhalten können. Viel hat sich seitdem in der Medizin und in den Köpfen der Menschen getan und inzwischen hat sich der Begriff um 180° gekehrt. Nun bezeichnet Nostalgie mehr ein positives Gefühl gegenüber der Vergangenheit, im Zusammenhang mit einer Ablehnung der Gegenwart.

Die Entdeckung des Sequels

Gute Emotionen sind immer der Nektar, mit dem Unterhaltungskonzerne ihre Monster füttern. In der Werbung, bei Produkten, im Kino und selbst in der Musik lässt sich mit dem Blick in den Rückspiegel schnell vorwärtsfahren. Bewährte Filmklassiker aus den 70er bis 90er Jahren kehren zurück (Star Wars, Blade Runner, Ghostbusters, Tron, Alien, Jurassic Park/World, Indiana Jones, Mad Max, etc.) und die Pop-Musik ist voll mit Reminiszenzen und Samples früherer Songs. In den Songtexten wird dem Vergangenen gehuldigt und damit neue Melodien gefallen, sollen altbekannte Klänge helfen.

Parallel boomen im Spielesegment die Klassiker, die seit Jahrzehnten(!) in Spielzeugkisten im Keller schlummern. Retrokonsolen bringen halbherzig ein Gefühl zurück und ein japanischer Hersteller legt einen Uralt-Fernseher in Miniatur neu auf, dem man sogar ab und zu mal einen Klapps geben muss. Selbst Casinospiele springen inzwischen auf diesen Zug auf. Aufbauend auf dem Retro-Trend hat sich Spielegigant PokerStars die Marke Full Tilt gesichert und betreibt seit einigen Jahren den legendären Pokerraum neu. Die Software Features ähneln dabei dem Original, allen voran die comichafte Oberfläche, doch die Spiele selbst stammen von der renommierten Plattform. Eine für beide Seiten gewinnbringende Situation.

Fin de Siècle

The End

Was aber suchen Konsumenten in der Vergangenheit, welches sie im Produkt-Kitsch des Retro-Trends verweilen lässt? Eine mögliche Erklärung ist der sogenannte Fin de Siècle Effekt, der sich am Ende eines auslaufenden und am Anfang eines beginnenden Jahrhunderts einstellt. Die Menschen haben Angst, dass sich die Welt um sie herum so stark verändert, dass sie selbst nicht mehr Schritt halten können. Der Wunsch nach dem Treten auf die Bremse oder sogar dem Rückwärtsgang führt zum gezielten Suchen nach Bekanntem, nach Stabilität. Durch den Kauf einer Retro-Spielekonsole mit 30 vorinstallierten Spieleklassikern soll ein Zustand wiederhergestellt werden, der lange vergangen ist. Doch entspricht dieser tatsächlich der erlebten Realität?

Frustration

Wer sich die Reviews zu den in den letzten Jahren erschienenen Retrokonsolen ansieht, erkennt schnell, dass auf eine anfängliche Vorfreude oft ein Gefühl der Enttäuschung folgte. Letztlich bleibt auch die verstaubte Spielzeugkiste seit Jahren stehen. Packt man sie doch einmal aus und ist über den ersten Spiele-Jingle hinaus, dann wundert man sich schnell darüber, dass es möglicherweise doch nicht so ganz den Erwartungen entspricht, die man sich ausgemalt hat. Die Steuerung hakt, die Grafik ist unscharf, hat Farbsäume oder das Spiel ist schlicht viel simpler als gedacht. Dies hängt damit zusammen wie Erinnerungen funktionieren.

Menschen erinnern sich nicht abbildungsgetreu an Episoden ihrer Vergangenheit, sondern speichern vorrangig Emotionen ab, die sie mit bestimmten Situationen verbinden. Zudem finden während des Aufwachsens einer Person verschiedene Gedankenprozesse statt, die die Sicht auf die Welt verändern und die auch die Wahrnehmung von Qualität beeinflussen. Die Erinnerungen an die Emotionen, die man mit 19 fühlte, als man zum ersten Mal neben dem Tannenbaum ein neues Spiel ausprobierte, lassen sich also möglicherweise mit dem aktuellen Wissen über die grafische und technologische Weiterentwicklung der Gegenwart gar nicht mehr nachstellen.

Retro weiterhin im Trend

Die Nostalgie und der Retrotrend werden uns dennoch noch eine ganze Weile begleiten. Das neue Jahrhundert, beziehungsweise sogar das neue Jahrtausend ist noch immer jung und lädt mit seinen starken Neuerungen in der Technologie und Unterhaltungsbranche zu viel Besinnung auf die „alten Tage“ ein. Gleichzeitig soll nicht unter den Tisch gekehrt werden, dass der Prozess des nostalgischen Erinnerns durchaus wichtig ist. Insbesondere bei der Stressbewältigung hilft eine solche Rückbesinnung bei Wohlbefinden und Selbstwertgefühl. Und solange Emotionen durch Retro-Spiele direkt angesprochen werden, können sie auch reale positive Effekte auslösen.

Das könnte dir auch gefallen
Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.